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(erstellt: Februar 2013)

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1. Begriff

Neben dem Nomen עָרְלָה ‘årlāh „Vorhaut“ (16-mal) gibt es im Hebräischen das Adjektiv עָרֵל ‘ārel „mit Vorhaut versehen / unbeschnitten“ (34-mal; Textänderung in Ez 32,27; Hab 2,16) und das Verb ערל ‘rl „die Vorhaut stehen lassen“ (1-mal). Auf der emotionalen Ebene sind mit dem Begriff „Vorhaut“ Ekel und Unreinheit – und zwar Unreinheit in einem sehr umfassenden Sinne – gemeint.

2. Beschneidung der Vorhaut

Von der Vorhaut ist im Alten Testament zunächst und vor allem im Kontext von ritueller → Beschneidung die Rede (→ Ritual). Das, was bei der Beschneidung abgeschnitten werden soll, ist „die Vorhaut“ (Ex 4,25) bzw. in der Terminologie der → Priesterschrift „das Fleisch der Vorhaut“ (בְּשַׂר עָרְלָה; Gen 17,11.14.23.24.25; Lev 12,3). Praktiziert wurde die Beschneidung im antiken Israel sicher nicht aus hygienischen Gründen. Ursprünglich war sie wohl kein Stammesritual, das ein Zeichen der Zugehörigkeit setzt, denn als solches wäre z.B. eine bestimmte Barttracht geeigneter gewesen. Die Tatsache, dass es um ein Ritual am männlichen Glied geht, und die geprägte metaphorische Rede von der „Vorhaut“ (s.u.) sowie eventuell auch die Verbindung von „Bräutigam“ und Beschneidung in dem rätselhaften Text Ex 4,24-26 lassen vermuten, dass die Beschneidung zunächst ein Mannbarkeits- bzw. Fruchtbarkeitsritual war, ein Initiationsritual, das sich auf die Zeugungsfähigkeit bezog, das demnach zunächst wohl mit Beginn der Pubertät vollzogen wurde und dabei vielleicht eine apotropäische Funktion hatte (vgl. Ex 4,24-26; Albertz / Schmitt, 393-395; → apotropäische Riten). Erst in einem zweiten Schritt wurde die Beschneidung dann als ein Stammesritual gedeutet, mit dem man sich der Zugehörigkeit zum eigenen Volk und der Abgrenzung von anderen Völkern (z.B. den → Philistern) vergewisserte. Sodann war sie ein Aufnahmeritual, das der Zugehörigkeit zu Jahwe Ausdruck geben sollte und die Teilnahme am Jahwe-Kult erlaubte. Als Zeichen der Abgrenzung kam ihr in der Exilszeit großes Gewicht zu. Die Priesterschrift deutet sie als Zeichen des → Bundes: Sie ist unumkehrbar und macht damit deutlich, dass auch Gottes heilvolle Zusagen des Bundes nicht zurückgenommen werden. Näheres s. → Beschneidung.

3. Abschneiden der Vorhaut

Im Krieg haben Soldaten Feinden die Vorhaut – bzw. den ganzen Penis – abgeschnitten, um belegen zu können, wie viele Gegner sie getötet haben (vgl. die Darstellung der vielen Penisse getöteter Libyer in Medinet Habu, südwestliche Rückseite des Eingangspylons). So verlangt → Saul von → David, damit er → Michal zur Frau bekommt, 100 Vorhäute von Philistern und David liefert ihm sogar 200 (1Sam 18,25.27; 2Sam 3,14).

4. Männer mit Vorhaut

Das Adjektiv עָרֵל ‘ārel „mit Vorhaut versehen“ kann einen Mann mit Vorhaut, einen Unbeschnittenen meinen (vgl. „der eine Vorhaut hat“ Gen 34,14), und zwar einen Israeliten (Gen 17,14; Jos 5,7), einen in Israel lebenden → Fremden (Ex 12,48) und – mit abwertendem, sogar verächtlichem Unterton – Männer anderer Kulturen, → Sichemiten (Gen 34,14), Babylonier (Jes 52,1) und vor allem Philister (Ri 14,3; Ri 15,18; 1Sam 14,6; 1Sam 17,26.36; 1Sam 31,4 // 1Chr 10,4; 2Sam 1,20). Nach Ezechiel gibt es für Vertreter fremder Völker, insbesondere für den ägyptischen Pharao sogar in der Unterwelt (Ez 32,24), einen Bereich der „Vorhäutigen“, der mit dieser Bezeichnung als unrein charakterisiert werden soll (Ez 28,10; Ez 31,18; Ez 32,19.21.24.25.26.28.29.30.32).

5. Vorhaut als Metapher

5.1. Vorhaut der Lippen und der Ohren

In der → Priesterschrift wendet → Mose gegen seine → Berufung ein, an seinen Lippen eine Vorhaut zu haben. Mit der Formulierung, bei der es sich wohl nicht um eine Schöpfung der Priesterschrift, sondern um eine feste Wendung handelt, will er ausdrücken, dass er nicht reden kann, da sein Mund verschlossen ist (Ex 6,12.30). → Jeremia wirft Israel vor, nicht auf das Wort Gottes zu hören, weil die Ohren der Menschen von einer Vorhaut verstopft sind (Jer 6,10). Die Vorhaut verhindert also, dass die genannten Körperteile angemessen funktionieren. Damit setzt die metaphorische Rede von einer Vorhaut voraus, dass sich auch mit der Vorhaut des Penis die Vorstellung verband, dass dieser erst nach deren Entfernung, also der Beschneidung, zeugungsfähig war. Demnach dürfte es sich bei der Beschneidung ursprünglich um ein Initiationsritual gehandelt haben, das sich auf die Zeugungsfähigkeit bezog.

5.2. Vorhaut der Herzen

Das → Herz bezeichnet im Alten Testament im Gegenüber zum Fleisch das innere Zentrum des Menschen, den Sitz des Fühlens und Empfindens, des Wollens und Planens, aber auch des Denkens, das wir dem Hirn zuschreiben. Es ist für die Einstellung des Menschen verantwortlich. Bildlich kann auch von der „Vorhaut des Herzens“ als Zeichen von Halsstarrigkeit (Dtn 10,16) die Rede sein. Nur wo diese entfernt ist, der Mensch also nicht nur am Fleisch, sondern auch am Herzen beschnitten ist, die innere Einstellung damit dem äußeren Zeichen entspricht, wird Jahwe in rechter Weise verehrt (Dtn 10,16; Jer 4,4; vgl. Dtn 30,6). Fremde haben dagegen sowohl am Fleisch als auch am Herzen eine Vorhaut und dürfen deswegen nicht in den Tempel (Ez 44,7.9). Jer 9,25 wirft ganz Israel vor, am Herz eine Vorhaut zu haben. Diese Vorhaut soll nach Lev 26,41 gedemütigt werden, ein bildlicher Ausdruck für Buße. Die wahre Beschneidung wird also nicht am Fleisch, sondern am Herzen vollzogen. Diese spiritualisierende Akzentverschiebung führt im Neuen Testament dazu, dass die Beschneidung des Fleisches irrelevant wird (1Kor 7,17-24).

5.3. Vorhaut von Obstbäumen

Die Früchte von neu gepflanzten Obstbäumen sollen nach Lev 19,23-25 in den ersten drei Jahren nicht geerntet werden, im vierten Jahr Jahwe gehören und erst ab dem fünften Jahr gegessen werden. In einer merkwürdigen Analogie zu Männern werden die Früchte der ersten drei Jahre hier als „Vorhaut“ bezeichnet. Erst nachdem die Früchte des vierten Jahres Jahwe dargebracht worden sind und der Baum damit – was allerdings nicht ausdrücklich gesagt wird – als beschnitten angesehen werden kann, darf die Ernte regulär gegessen werden. Nach G. Mayer (386) soll das Bild ausdrücken: Wie die Vorhaut / der Unbeschnittene vom Kult ausgeschlossen ist, so die Früchte vom Verzehr. Die Regelung zielt nach V. 25 jedoch darauf, den Ertrag zu mehren. Wenn die Beschneidung ebenfalls darauf zielt, die Fruchtbarkeit zu steigern, dürfte dies den Verfasser dazu gebracht haben, die Vorhaut als Vergleichsspender heranzuziehen. Erst wenn die Vorhaut nicht mehr da ist, kann sich Fruchtbarkeit entfalten.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992 (Beschneidung)
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004 (Beschneidung)
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001 (Beschneidung)
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992 (circumcision)
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. u.a. 1993-2001 (Beschneidung)
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007 (Beschneidung)
  • Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006 (Beschneidung)
  • Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009 (Beschneidung)

2. Weitere Literatur

  • Arenhoevel, D., Ursprung und Bedeutung der Beschneidung, WuA(M) 14 (1973), 167-172
  • Albertz, R. / Schmitt, R., Family and Household Religion in Ancient Israel and the Levant, Winona Lake 2012
  • Bernat, D.A., Sign of the Covenant. Circumcision in the Priestly Tradition (Ancient Israel and its Literature 3), Atlanta 2009
  • Blaschke, A., Beschneidung. Zeugnisse der Bibel und verwandter Texte (TANZ 28), Tübingen / Basel 1998
  • Grünwaldt, K., Exil und Identität. Beschneidung, Passa und Sabbat in der Priesterschrift (BBB 85), Frankfurt 1992
  • Hermisson, H.-J., Sprache und Ritus im altisraelitischen Kult. Zur „Spiritualisierung“ der Kultbegriffe im Alten Testament, Neukirchen-Vluyn 1965
  • Maciejewski, F., Der Ritus der Beschneidung und der Geist des Monotheismus. Ein ethnopsychoanalytischer Blick auf die Religionsentwicklung im antiken Israel, in: M. Oeming / K. Schmid (Hgg.), Der eine Gott und die Götter. Polytheismus und Monotheismus im antiken Israel (2003), 249-270
  • Mayer, G., Art. עָרֵל ‘ārel, in: Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Bd. VI, Stuttgart u.a. 1989, 385-387
  • Ruwe, A., Beschneidung als interkultureller Brauch und Friedenszeichen Israels. Religionsgeschichtliche Überlegungen zu Genesis 17, Genesis 34, Exodus 4 und Josua 5, ThZ 64 (2008), 309-342
  • Sasson, J.M., Circumcision in the Ancient Near East, JBL 85 (1966), 473-476
  • Wagner, V., Profanität und Sakralisierung der Beschneidung im Alten Testament, VT 60 (2010), 447-464
  • Zimmermann, U., Kinderbeschneidung und Kindertaufe. Exegetische, dogmengeschichtliche und biblisch-theologische Betrachtungen zu einem alten Begründungszusammenhang (Beiträge zum Verstehen der Bibel 15), Hamburg 2006

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