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Psalm 126,1-6 | Letzter Sonntag des Kirchenjahres: Ewigkeits- Sonntag | 24.11.2024

Einführung in die Psalmen

Für umfangreichere Informationen besuchen Sie den Artikel Psalmen (AT) im WiBiLex

1. Der Psalter – das Psalmenbuch

Mit „Psalter“ bezeichnet man in der Regel die Sammlung von 150 Psalmen (in der griechischen Tradition 151 Psalmen), aufgeteilt auf fünf Bücher, wie sie im hebräischen Alten Testament zusammengestellt sind. Die atl. Exegese hat sich, vor dem Hintergrund variierender Psalmensammlungen in Qumran, in den letzten 30 Jahren intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, welche Kriterien der Zusammenstellung der biblischen Psalmen zugrunde liegen und was dies für die Lektüre von Einzelpsalmen bzw. Psalmengruppen bedeutet (Zenger 2000, 416-435). Die Ansicht, dass es sich bei dem Psalter um ein Gesangbuch des Zweiten Tempels handelt, wird kaum noch vertreten. Einzelne Psalmen mögen tatsächlich im öffentlichen Tempelkult ihren Ort gehabt haben (s. die Verweise auf ein Tempelweihfest Ps 30,1 oder den Sabbat Ps 92,1; in der LXX kommen auch Hinweise auf verschiedene Wochentage hinzu), der größere Teil hingegen ist auf den Einzelnen ausgerichtet. Auch was die musikalische Aufführung von Psalmen betrifft, bewegen wir uns auf unsicherem Terrain. Einerseits kann man wenig Konkretes über das Singen von Psalmen und die Verwendung von Musikinstrumenten sagen, andererseits lassen die vorhandenen Anmerkungen in den Texten, die Verweise auf Sängergruppen, Melodien und Instrumente doch die Annahme zu, dass es eine musikalische Begleitung des Gebets gegeben hat.  

2. Die Psalmen

Während die Bezeichnungen Psalm und Psalter auf eine musikalische Tradition und den Vortrag von Psalmen verweisen, wird mit den Bezeichnungen tehillīm „Preisungen“ (tehillāh als Lobpreis Gottes; „…und mein Mund wird deinen Lobpreis verkündigen“, Ps 51,17b), und tepillāh „Gebet“ (so in der vorläufigen Schlussnotiz Ps 72,19 „Ende der Gebete Davids“) die Rede zu, mit und auch über Gott in den Blick genommen. Die Psalmen sind, als poetische Texte, das eine wie das andere, Lied, begleitet mit Saitenspiel, Lobpreis und Gebet.

Mit Aufkommen der Gattungsforschung Ende des 19. und Anfang des 20. Jh.s wurden Einzelpsalmen auf bestimmte wiederkehrende Muster bezüglich ihrer Form und ihrer institutionellen Einordnung, d.h. ihres sog. Sitzes im Leben, hin befragt. Die Klagelieder des Einzelnen (s. Ps 13) erweisen sich als größte derart als Gruppe erkennbare Psalmen. Ihnen liegt i.d.R. eine recht klare Struktur zugrunde (Anrufung, Klage, Bitte, Vertrauensbekenntnis/Lobgelübde). Der immer wieder als auffällig wahrgenommene Stimmungsumschwung von der Klage zum Lob/Dank wurde mit diversen Theorien zu erklären versucht. Letztlich bleibt jedoch vor allem festzuhalten, dass „hinter der Wende von der Klage zum Lob ein Prozess, genauer: ein Gebetsprozess steht, der von Anfang an, d.h. mit Beginn des Betens, in Gang kommt und den ganzen Text durchzieht“ (Janowski, Konfliktgespräche, 77). Formal weniger deutlich strukturiert, inhaltlich jedoch gut zuzuordnen, sind die Klagelieder des Volkes (z.B. Ps 79).

Das Lob Gottes äußert sich in den Hymnen, die zum Lob auffordern und es anschließend entfalten (Ps 98,1: „Singt JHWH ein neues Lied, denn er hat Wunder getan, seine Rechte hat ihm geholfen, sein heiliger Arm“). Teilweise wird das hymnische Loblied vom Danklied (Ps 30 u.ö.) unterschieden. Terminologisch findet es sich im hebr. tôdāh „Dank“ wieder (Ps 42,5), ein Ausdruck der für das Danklied ebenso stehen kann wie für das Dankopfer.

Zahlreiche Psalmen sind aufgrund ihres Inhalts einzelnen Gruppen zugeordnet, so die Zionspsalmen (u.a. 46; 48), die Jhwh-Königspsalmen (u.a. Ps 93); die Königspsalmen (u.a. Ps 72), die Geschichts- oder die Schöpfungspsalmen. Unter diesen kommt nun vor allem den Weisheitspsalmen bzw. den weisheitlichen Reflexionen, die sich in diversen Psalmen finden lassen, hervorgehobene Bedeutung zu. Sie nehmen das Verhältnis von Gott und Mensch grundlegend in den Blick und ordnen auf diese Weise individuelle Erfahrung in einen größeren Zusammenhang ein (s. Ps 49), bzw. leiten, durch bewusste Platzierung im Gesamtpsalter, zum Gebet an. Die Zuordnung einzelner Psalmen zu den genannten Gattungen gibt Aufschluss über die Funktion und Kommunikationsabsicht des Psalms und ermöglicht es, durch die Identifizierung des Typischen, das Untypische und Besondere in Abweichungen von einer Gattung zu erkennen. Es darf dennoch nicht übersehen werden, dass der Großteil der Psalmen Elemente verschiedener Gattungen aufweist, d.h. u.a., dass sich hymnische Elemente in Klageliedern finden (Ps 74,12ff.) und weisheitliche Reflexionen diverse Psalmen durchziehen (s.u.a. Ps 73). Besonders in dieser Mischung von Reflexionen und direkter Gottesanrede zeigt sich die Bedeutung der Psalmen als Schule des Betens, als Hilfe zur Sprachfindung im Gespräch mit Gott.

3. Datierung

Die Datierung einzelner Psalmen ist ausgesprochen schwierig, da in den Texten an sich altes Traditionsgut wieder aufgenommen und in neue Zusammenhänge gestellt worden ist. In der Regel bemüht man sich, unter Berücksichtigung von Querbezügen zu anderen Überlieferungen des Alten Testaments sowie mittels traditions- und theologiegeschichtlicher Einordnungen um eine Zuordnung der einzelnen Psalmen zu größeren Epochen, d.h. der Königszeit, der exilisch-nachexilischen und der hellenistischen Zeit.

Der Psalter als abgeschlossene Sammlung wird ins 2.Jh.v.Chr. zu datieren sein.

4. Theologie

Die Psalmen befassen sich mit Grundfragen des Lebens, die im Gebet vor Gott gebracht werden. Lebensfreude und Dank finden ebenso ihren Raum wie Leiden, Angst und bedrohliche Todesnähe. Nichts muss im Gebet ausgespart, alles kann vor Gott getragen werden, auch in Klage und Anklage.

Die Gerechtigkeit Gottes wird gepriesen oder eingefordert, wo sie, der eigenen Lebenserfahrung gemäß, nicht zu greifen scheint. Neben der – immer wieder auch konfliktbehafteten – Verhältnisbestimmung von Gott, Individuum und dessen sozialem Umfeld gehört auch die Reflexion über Gott, Mensch und Welt in das Gebet. Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst (Ps 8,5). 

Als herausfordernd werden die sog. Rachepsalmen empfunden (u.a. Ps 94,1–2.22–24). Oft als ethisch nicht vertretbar deklassiert und beiseite geschoben, verdienen sie, so unbequem es auch ist, wenigstens einer kritischen Betrachtung. Gewalterfahrung, Hilflosigkeit angesichts der Feinde und der Schrei nach Veränderung stehen im Hintergrund dieser Texte, die zeigen, dass auch die dunklen Seiten des menschlichen Herzens vor Gott offenliegen. Ob und wie sie in den Gemeindekontext eingebracht und ggf. gebetet werden sollten, ist jedoch stets aufs Neue zu fragen.

5. Rezeption

Die Rezeptionsgeschichte der Psalmen und des Psalters hat in den letzten Jahren immer mehr an Raum gewonnen. Unterschiedliche Auslegungstraditionen, so in jüdischer und christlicher Exegese werden ebenso in den Blick genommen, wie Psalmen und Psalter in darstellender Kunst oder Musik.

Zur Anregung: Gillingham, S., 2008–2022, Psalms through the Centuries, Blackwell Publishing, Vol 1–3.

Literatur:

  • Janowski, B., 22006, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn.
  • Körting, C., 2015, The Psalms - Their Cultic Setting, Forms and Traditions, in: Hebrew Bible / Old Testament Volume III Part 2 The Twentieth Century – From Modernism to Post-Modernism, Göttingen, 531–558.
  • Zenger, E., 2011, Psalmen Auslegungen Band II; 4. Ein Gott der Rache? Feindpsalmen verstehen, Freiburg i. Br., 679–854.

A) Exegese kompakt: Psalm 126,1–6

1שִׁ֗יר הַֽמַּ֫עֲל֥וֹת בְּשׁ֣וּב יְ֭הוָה אֶת־שִׁיבַ֣ת צִיּ֑וֹן הָ֝יִ֗ינוּ כְּחֹלְמִֽים׃ 2אָ֤ז יִמָּלֵ֪א שְׂח֡וֹק פִּינוּ֮ וּלְשׁוֹנֵ֪נוּ רִ֫נָּ֥ה אָ֭ז יֹאמְר֣וּ בַגּוֹיִ֑ם הִגְדִּ֥יל יְ֝הוָ֗ה לַעֲשֹׂ֥ות עִם־אֵֽלֶּה׃ 3הִגְדִּ֣יל יְ֭הוָה לַעֲשֹׂ֥ות עִמָּ֗נוּ הָיִ֥ינוּ שְׂמֵחִֽים׃ 4שׁוּבָ֣ה יְ֭הוָה אֶת־שְׁבִותֵ֑נוּ כַּאֲפִיקִ֥ים בַּנֶּֽגֶב׃ 5הַזֹּרְעִ֥ים בְּדִמְעָ֗ה בְּרִנָּ֥ה יִקְצֹֽרוּ׃ 6הָ֘ל֤וֹךְ יֵלֵ֨ךְ ׀ וּבָכֹה֮ נֹשֵׂ֪א מֶֽשֶׁךְ־הַ֫זָּ֥רַע בֹּֽא־יָב֥וֹא בְרִנָּ֑ה נֹ֝שֵׂ֗א אֲלֻמֹּתָֽיו׃
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Übersetzung

1 Ein Lied des Aufstiegs

Als Jhwh zurückkehrte nach Zion,

da waren wir wie Träumende;

2 da füllte sich unser Mund mit Lachen

und unsere Zunge mit Jubel;

da sprach man unter den Völkern:

„Es hat sich als groß erwiesen Jhwh,

(so) zu handeln an diesen.“

3 Es hat sich als groß erwiesen Jhwh,

(so) zu handeln an uns;

und wir waren fröhlich.

4 Kehre doch, Jhwh, zu uns zurück,

wie die Bäche im Südland.

5 Die Säenden mit Tränen,

mit Jubel werden sie ernten.

6 Wieder und wieder geht weinend,

der den Saatbeutel trägt;

(doch) wahrlich er kommt zurück mit Jubel –

seine Garben tragend.

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

Die Übersetzung des Psalms verlangt hinsichtlich der Wendung in v. 1a und 4a eine grundlegende Entscheidung. שוב (Inf cons Qal) kann als „zurückkehren,“ „zurückbringen“ oder auch „wenden“ übersetzt werden. שיבת wird entweder von שבה „Gefangenschaft“ oder שבות „Rückkehr“ abgeleitet. Die Fig. etym. שוב שבות kann wörtlich als „eine Wendung wenden,“ d.h. das Geschick wenden, einen ursprünglich heilvollen Zustand wieder herstellen, verstanden werden. Die hier vorgeschlagene Übersetzung beruht auf der Entscheidung, an der Verbform im Qal „zurückkehren“ festzuhalten. Wörtlich „beim Zurückkehren Jhwhs als einer Rückkehr in Bezug auf Zion“ (vgl. Hossfeld/Zenger, Psalmen, 501).

2. Literarische Gestaltung

Für den Psalm werden verschiedene Gliederungen diskutiert. Die hier vorgeschlagene Zweiteilung (vv. 1–3 und vv. 4–6) beruht auf der Wahrnehmung des Wechsels der Sprechrichtung zwischen den vv. 1–3 und v. 4, besonders markiert durch einen Imperativ. Beide Abschnitte setzen mit dem Motiv der Rückkehr Jhwhs ein, wobei die einmal gemachte Erfahrung der Rückkehr Jhwhs nach Zion (v. 1) zum Grund für die Hoffnung auf erneute Rückkehr wird (v. 4). Der erste Teil des Psalms verweist mit der Wahrnehmung der Situation durch die Völker auf die universale Dimension der Ereignisse (v. 2), der zweite Teil hingegen verweist auf die Auswirkungen der Hinwendung Gottes im Kleinen. Aus der Sorge um das tägliche Brot wird der Jubel über den Überfluss.

Die Gattung des Psalms ist, will man sich nicht mit der durch die Überschrift vorgenommenen Festlegung „Wallfahrtslied“ oder „Lied des Aufstiegs“ begnügen, schwer zu definieren. Hilfreich ist es wahrzunehmen, dass der Psalm geschichtstheologische Elemente enthält, nämlich den Rückblick auf die Rückkehr Jhwhs nach Zion, gepaart mit einem Bittgebet um eine erneute Hinwendung Gottes und dem auf der Erfahrung gründenden vertrauensvollen Blick in eine gewandelte Lebenswelt.

3. Kontext und historische Einordnung

Der Psalm ist eines der Wallfahrtslieder (Ps 120–134). Ps 126 greift mit einigen anderen Wallfahrtsliedern das Thema Segen auf (u.a. Ps 124; 128; 129; 132; 134). Auch wenn ברך bzw. ברכה in Ps 126 nicht wörtlich genannt sind, so wird doch genau auf das geblickt, was Segen ausmacht. Wer arbeitet und sät, der soll auch ernten und seine Garben nach Hause tragen. Ps 127 und 128 entfalten das Thema Segen ebenfalls. Es geht um erfolgreiches Handeln, erfülltes Leben in und mit der Familie, und es geht um den Ort, von dem dieser Segen ausgeht, nämlich Zion (Ps 128,5). Ps 126 nennt die Voraussetzung für die Segensaussagen der Ps 127 und 128, nämlich Jhwhs Rückkehr und damit seine Gegenwart auf dem Zion.

Der vorausgehende Ps 125 hingegen hat zum Thema das Vertrauen auf Gott. Der Berg Zion wird zum Vergleichspunkt: „Die auf Jhwh vertrauen sind wie der Berg Zion.“ Schaut man von Ps 125 kommend auf Ps 126, dann zeigt sich, was Zion alles sein kann. Nicht „nur“ ein geographischer Ort zum dem Jhwh zurückkehrt, sondern auch Menschen, nämlich diejenigen, die vertrauen – zu ihnen ist Gott zurückgekehrt und wird wieder und wieder zurückkehren. Ps 126 setzt, folgt man der oben vorgeschlagenen Lesart, das Exil voraus. Jhwh hat den Zion, hat seinen Wohnort verlassen und ist zurückgekehrt. Die Wahrnehmung dieses Ereignisses wird durch die Völker bestätigt (so auch im Deuterojesajabuch in Jes 42,10–12; 45,14–22; 48,20). Doch dieser historische Kontext verschwimmt hinter dem Spiel mit dem Ausdruck שוב und lässt Raum für das Prinzipielle, die Erfahrung von Rettung und die Möglichkeit der Wiederholung dieser Erfahrung.

4. Schwerpunkte der Interpretation

Für die Menschen im alten Israel hieß zu träumen, einen Einblick zu bekommen in Bereiche, die dem Menschen im Wachzustand unerreichbar sind. „Es ist eine höhere Welt, an welcher der Mensch […] Anteil erhalten kann“ (Zgoll, Traum und Welterleben, 264). Diese Welt kann sich ebenso räumlich erstrecken wie zeitlich – ein Blick in die Zukunft. Dabei geht es weniger um die ferne Zukunft, sondern eher um das, was im Traum angestoßen wird und nun Zukunft gestaltet. Die Welt des Traumes ist nicht weniger real als die Welt des Wachzustands. Wichtig ist jedoch: Der Traum kommt von außen auf den Menschen zu, der träumende Mensch selbst, so emotional das Gesehene auch wahrgenommen wird, hat keinen Anteil daran. Für Ps 126 lässt sich festhalten, dass die Feststellung „wir waren wie Träumende“ nicht auf etwas Irrationales oder Irreales verweist, wohl aber auf etwas Unerwartetes und überdimensional Großes, das sich anders als in Traumbildern kaum begreifen lässt.

Im Psalm kommt eine Gruppe zur Sprache, ein „wir,“ das sich dadurch auszeichnet, dass Gott groß an ihm gehandelt hat; ein „wir,“ das es dennoch nicht leicht hat, durch den Alltag zu kommen, trotz aller großen Erfahrungen. Ps 126 ist ein Gebet für die Gemeinde, die darauf vertraut, dass Jhwhs Rückkehr Segen und Leben bringt, wie das Strömen von Wasser in ausgetrockneten Flussbetten.

5. Theologische Perspektivierung

Leitthema des Psalms ist die Überwindung von Gottesferne. Gott kehrt zurück und wendet damit das Schicksal. Beide Varianten der Übersetzung führen schließlich auf diesen Kern zu, denn Gottesnähe ändert das Geschick des Menschen. Wende, Zuwenden, Rückkehr Gottes, all das, was mit שוב ausgedrückt werden kann, ist die Voraussetzung, dass sich Tränen in Jubel verwandeln.

Literatur

  • Loren D. Crow, The Songs of Ascents (Psalms 120–134), SBL.DS 148, Atlanta (Georgia), 1996.
  • Frank-Lothar Hossfeld und Erich Zenger, Psalmen 101–150, HThK.AT, Freiburg im Breisgau, 2008.
  • Anette Zgoll, Traum und Welterleben im antiken Mesopotamien. Traumtheorie und Traumpraxis im 3.–1. Jahrtausend v. Chr. als Horizont einer Kulturgeschichte des Träumens, Münster 2006.

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Die Übersetzung beginnt für mich als eine, der die Lutherübersetzung vertraut und lieb ist, mit einer doppelten Überraschung: Aus den Gefangenen Zions, die Jhwh erlösen wird, wird Jhwh selbst, der in der Vergangenheit bereits nach Zion zurückgekehrt ist. Die vv. 1–3 erzählen davon, welche Freude es ausgelöst hat zu erleben, dass Gott als siegreicher Held zu seinem Wohnort zurückkehrt. Die Seinen können es nur wie einen Traum beschreiben, wie es war, als Er zu Ihnen zurückkam und bei ihnen wohnte. Auch die Einheitsübersetzung, Zürcher Bibel und Basisbibel u.a. übersetzen in dieser Weise. Weitere deutsche Übersetzungen variieren in dem einen (Übersetzung mit „Gefangenschaft“ oder „Rückkehr“ oder anderen (Rückblick auf Vergangenes oder Vorausschau des Kommenden).

Es ist ein schöner Gedanke für die Predigt am Ewigkeitssonntag, dass die Hoffnung auf Erfahrung beruht und dadurch gestärkt zur Gewissheit werden kann: Weil es so war, wird es wieder so sein, denn Jhwh bleibt Herr.

Hilfreich für die Auslegung in Bezug auf die Gemeinde, welche Einzelpersonen, Paare, Familien und Gruppen vereint, ist die vorgeschlagene Zweiteilung: Was in der Vergangenheit bereits aller Welt vor Augen war und Ehrfurcht eingeflößt hat, wird nun auch im Kleinen so sein, wenn der Herr wiederkommt: die Mühe um das tägliche Brot wird Früchte tragen. Wir werden wieder allen Grund zum Jubel haben. Ich werde wieder lachen können! Dass der Psalm 126 wie einige andere der benachbarten Wallfahrtslieder das Thema Segen entfaltet, ohne das Wort zu nennen, greife ich dankbar auf, ebenso den Hinweis aus Ps 125, dass Zion auch die Menschen sein können, zu denen Gott zurückkehrt. Wenn Gott mitten unter uns wohnt, breitet sich sein Segen aus und erfüllt buchstäblich alle und alles. Gut, dass das Beschriebene nicht auf ein einziges historisches Ereignis festgelegt ist, sondern die sich immer wieder ereignende Erfahrung der Glaubenden bejubelt.

Besonders schön ist die Erklärung des Träumens. Das, was da geschehen ist und wieder auf uns zukommt, ist so überraschend und unbeschreiblich groß und erfüllend, dass es staunend nur als Traum wahrgenommen werden kann – und uns doch ganz real ergreifen und verändern wird.

2. Thematische Fokussierung

Die Gemeinde geht durch schwere Zeiten. Diese sind von Mühsal und Tränen gekennzeichnet, die Glaubenden fühlen sich alleingelassen, sind verstreut, Gott ist fern. In diese Situation hinein erinnert der Psalm an das überschäumende Glück, das sprudelnde Lachen und den überbordenden Jubel, welche die Rückkehr Jhwhs ausgelöst hat, daran, wie sich Leben von jetzt auf gleich wandelt, wenn Gott anwesend ist, so, dass du denkst, du träumst. Psalm 126 ruft Gott zurück und weckt die frohe Erwartung auf seine Rückkehr. Diese Zukunft ist keine vielleicht eintretende und zaghaft zu hoffende, sondern feststehende Gewissheit, die das Leben schon jetzt zu verändern vermag.

3. Theologische Aktualisierung

Das Kirchenjahr endet mit Pauken und Trompeten, himmlischen Chören und irdischem Lachen, Jubel über Gottes heilsame Nähe, getroster Gewissheit unter seinem Segen.

Als Liturg und Predigerin wollen wir vermutlich sorgsam darauf achten, dass die Gottesdienstbesucher*innen am Ewigkeitssonntag nicht mit dem Jubel überfallen werden. Da mögen manche in der Kirche sein, die im vergangenen Jahr große Mühe hatten, die sich nach Kräften und darüber hinaus angestrengt haben und denen doch alles vergeblich scheint. Da sind die, die viele Tränen vergossen haben, es ist eben auch Ewigkeitssonntag. Und wieder andere könnten sofort mit einstimmen in den Jubel der himmlischen Chöre. Und bestimmt ist in einigen auch alles auf einmal und noch viel mehr.

Und so richtig Behutsamkeit ist, fällt doch der Psalm 126 gleich mit der Tür ins Haus und setzt gerade nicht mit der Beschreibung der tränenreichen Gegenwart und aktuellen Erfahrung der Gottesferne an, um dann in kleinen Schritten Hoffnungspotential zu entfalten. Wie in einem Traum bekommen wir urplötzlich Einblick in das Kommende. Der Traum fragt dich auch nicht, ob du bereit bist oder öffnet nach und nach die Tür.

Gottes Rückkehr war überraschend. Nicht absehbar erweist er sich als Sieger und nimmt Wohnung unter den Seinen. Da ist von jetzt auf gleich alles anders. Was für ein Traum!

Hoffnung basiert auf realer Erfahrung. Der Gemeinde heute wird zugemutet, die Hoffnung aufzunehmen und sich vom Lachen anstecken zu lassen, selbst wenn das Exempel des eigenen Erlebens fehlt. Wir leben immer auch aus Überlieferungen und Vorbildern – und Glauben.

In jedem Gottesdienst erbitten wir Gottes Gegenwart, feiern seine Nähe und gehen in seinem Segen. Jeder Gottesdienstraum lädt Gott ein, Wohnung zu nehmen. In der Ewigkeit werden wir uns nicht mehr fragen müssen, ob er bleibt, ob die Beziehung hält, ob die Tränen das Lachen doch wieder ersticken werden und der Segen auszieht. Wir werden uns nicht mehr anstrengen und ihn sehnlichst herbeirufen müssen.

Oft sprechen wir davon, dass Unglück hereinbricht. Der Tod kann einen geliebten Menschen jäh aus dem Leben reißen. Unvermutet kommt die schlechte Nachricht. Anstrengung kann zum Dauerzustand werden. Am Ewigkeitssonntag geht es genau andersherum. Plötzlich öffnet sich der Himmel.

4. Bezug zum Kirchenjahr

Der letzte Sonntag im Kirchenjahr hat zwei Proprien. Die Texte und Lieder zum Ewigkeitssonntag sind eine Schatztruhe mit den schönsten Bildern, die die Bibel für die Zukunft mit Gott zu bieten hat. Um zu beschreiben, wie es sein wird, wenn der Herr wiederkommt, wird alles aufgeboten, was man sich nur erträumen kann. Unbeschreiblicher Jubel, unfassbare Freude, ein niemals endendes Fest. Und das Beste wird sein, dass alle noch geltenden menschlichen und irdischen Bedingungen aufgehoben sind, alle Tränen, alles Leid, alles Nichtvereinbare, alles Lebenzerstörende nicht mehr existiert.

Die Predigt zu Psalm 126 kann hier einen besonderen Akzent setzen, den die anderen Texte so nicht zu eigen haben. Während wir mit EG 147 singen „Kein Aug hat je gespürt, kein Ohr hat mehr gehört solche Freude“, singt die Gemeinde im Psalm voller Gewissheit aufgrund von der bereits erlebten Rückkehr Gottes. Dankbar darf die christliche Gemeinde in diesen Erfahrungshorizont eintreten. Am kommenden Sonntag beginnen das neue Kirchenjahr und die Vorbereitung auf Weihnachten. Wann und wo immer Gott unter uns wohnt (Joh 1,14), bricht Jubel aus, breitet sich Segen aus, herrschen Frieden und Freude, dermaleinst ohne Ende. Im Abendmahl feiern wir diese Zukunft in seiner Gegenwart schon jetzt.

Autoren

  • Prof. Dr. Corinna Körting (Einführung und Exegese)
  • Daniela Fricke (Praktisch-theologische Resonanzen)

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