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(erstellt: März 2023)

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Dieser Artikel beschäftigt sich ausschließlich mit dem →Ethnarchen (Herodes) Archelaos, dem Sohn →Herodes‘ I des Großen.

1. Zur Quellenlage

Die Hauptquellen zu Archelaos’ Leben und Herrschaft bilden die Geschichtswerke des jüdisch-römischen Geschichtsschreibers →Flavius Josephus. In seinen beiden Schriften Bellum Judaicum (B.J.) und Antiquitates Judaicae (Ant.) thematisiert er Archelaos’ Herkunft, seinen Aufstieg zur Macht sowie das Ende seiner Herrschaft im Jahre 6 n. Chr. Der griechische Geschichtsschreiber und Geograph →Strabon (Strabon, XVI 2, 46) und der römische Geschichtsschreiber Cassius Dio (Cassius Dio, XL 27, 6) notieren Archelaos’ Verbannung.

An archäologischen Zeugnissen zu Archelaos‘ Herrschaft sind in erster Linie seine Münzprägungen zu nennen. Insgesamt sechs verschiedene Typen sind klassifizierbar (Meshorer, 31–34; pl. 4f.).

2. Aufstieg zur Herrschaft

2.1. Name und Herkunft

Der griechische Name Ἀρχέλαος Archélaos von ἄρχω árchō „herrschen“ und λαός laós „Volk“ bedeutet etwa „das Volk beherrschend“. Dieser Name war in den gräzisierten Herrscherhäusern des östlichen Mittelmeerraums relativ weit verbreitet.

Abb. 1 Ausschnitt aus dem Stammbaum der Familie des Herodes

Archelaos wurde um 23 v. Chr. als Sohn des judäischen Königs Herodes I. und seiner vierten Frau Malthake, einer →Samaritanerin, geboren (B.J. I 562 | Ant. XVII 1, 3). Neben seinem jüngeren Bruder →Antipas hatte er zahlreiche Halbgeschwister aus den weiteren Ehen seines Vaters. Insbesondere seine älteren Halbbrüder →Antipater (Sohn der Doris) sowie Alexander und Aristobulos (Söhne der Mariamne I.) standen in der Thronfolge zunächst vor Archelaos. Gemeinsam mit Antipas und seinem Halbbruder →Philippos (Sohn der Kleopatra) wurde er zur Ausbildung nach Rom geschickt (B.J. I 602; Ant. XVII 1,3).

2.2. Das Testament des Herodes

Infolge mehrerer Palastintrigen ließ Herodes I. 7 v. Chr. erst Alexander und Aristobulos und kurz vor seinem Tod im Jahre 4 v. Chr. schließlich auch seinen Erstgeborenen Antipater hinrichten. Herodes I. änderte in der Folge sein politisches Testament mehrfach ab. Nach der Verurteilung Antipaters sollte zunächst Archelaos’ jüngerer Bruder Antipas als König das gesamte Reich erben (B.J. I 646 | Ant. XVII 6,1). Doch änderte Herodes unmittelbar vor seinem Tod sein Testament erneut (B.J. I 664 | Ant. XVII 8,1). Die neue Verteilung sah wie folgt aus:

  • Archelaos sollte als König über Judäa, Samaria und Idumäa herrschen.
  • Antipas sollte Tetrarch („Vierfürst“) von Galiläa und Peräa (der Gegend am Ostufer des Jordans) werden.
  • Philippos sollte Tetrarch („Vierfüst“) der Gaulanitis, der Trachonitis, der Auranitis, von Batanäa und Ituräa (also der nördlich und östlich des Sees Genezareth gelegenen Gebiete) werden.
  • Herodes‘ Schwester Salome sollte die Städte Jamnia, Azot und Phasaëlis erhalten.

Archelaos wäre gemäß diesem letzten Testament als König seinen Brüdern und seiner Tante übergeordnet worden.

2.3. Herodes’ Tod und Augustus’ Entscheidung

Flavius Josephus berichtet, dass nach Herodes’ Tod 4 v. Chr. dessen Soldaten Archelaos zum König proklamieren wollten (B.J. I 660 | Ant. XVII 8,2). Auch das Volk, dem Archelaos in einer Rede im Jerusalemer Tempel allerlei Versprechungen für die Zeit seiner Herrschaft machte, jubelte ihm zu (B.J. II 4 | Ant. XVII 8,4). Da Herodes I. ein römischer Klientelkönig gewesen war, lag die endgültige Entscheidung über seine Nachfolge allerdings beim römischen Kaiser →Augustus. Die Begeisterung im Volk hielt zudem nicht lange an: Als Archelaos versuchte, am Pessachfest einen Konflikt mit Anhängern zweier von Herodes hingerichteter Gesetzeslehrer mittels Soldaten zu lösen, eskalierte die Situation und es kam zu einem Blutbad im Tempel mit angeblich 3000 Opfern (B.J. II 8–13 | Ant. XVII 9, 1–3).

Um seine Thronfolge bestätigen zu lassen, reiste Archelaos mit einer Gruppe von Fürsprechern, zu denen später auch Philippos hinzustieß, nach Rom. Auch Antipas kam nach Rom, um Herodes’ letztes Testament und Archelaos’ Befähigung zur Herrschaft anzuzweifeln. Er wollte gemäß dem vorletzten Testament als König Alleinherrscher werden (B.J. II 14–38 | Ant. XVII 9, 3–7). Als eine dritte Gruppe trat eine Abordnung judäischer Bürger auf, die Augustus baten, Judäa in die römische Provinz Syria einzugliedern (B.J. 80–92 | Ant. XVII 11, 1–3).

Abb. 2 Die Aufteilung des Reiches des Herodes 4 v. Chr.

Nach längeren Anhörungen und Beratungen entschied sich Augustus dazu, dem letzten Testament weitestgehend zu entsprechen. Allerdings änderte er es an wesentlichen Punkten ab (B.J. II 93–100 | Ant. XVII 11, 4f.):

  • Die Herrschaftsbereiche der drei Brüder sollten voneinander unabhängig sein.
  • Archelaos erhielt zunächst nur den niedrigeren Titel eines Ethnarchen („Volksherrscher“). Augustus stellte ihm den Königstitel in Aussicht, sollte er sich bewähren.
  • Die griechisch geprägten Städte Gaza, Gadara und Hippos gliederte Augustus aus dem Reich aus und schlug sie der römischen Provinz Syria zu.
  • Zusätzlich zu den drei ihr von Herodes vermachten Städten teilte Augustus Salome auch den Königspalast in Aschkelon zu.

2.4. Aufstände

Während die Thronanwärter in Rom weilten, brachen im ehemaligen Reich des Herodes zahlreiche Aufstände aus (B.J. II 55–79 | Ant. XVII 10). Gründe hierfür waren das plötzlich eintretende Machtvakuum, eine generell angespannte Situation, die durch das Blutbad im Tempel noch befeuert worden war, sowie das Agieren des kaiserlichen Schatzverwalters Sabinus, der mit der Aufgabe betraut war, bis zu Augustus’ Entscheidung das herodianische Vermögen zu konfiszieren. Verschiedene Gruppen im ganzen Land, die teilweise unter der Leitung von Messiasprätendenten standen, probten daraufhin den Aufstand und versuchten, die Kontrolle über Teile des Landes zu gewinnen. Erst Varus, der römische Statthalter der Provinz Syria, konnte mit zwei Legionen und einem Truppenaufgebot des nabatäischen Königs Aretas IV. die Aufstände niederschlagen und die Ordnung wiederherstellen.

3. Herrschaft und Niedergang

3.1. Regierungsstil

Die Informationen über die zehn Jahre währende Herrschaft des Archelaos sind dürftig. Flavius Josephus gibt einen sehr knappen Bericht (Ant. XVII 13, 1). So soll Archelaos zunächst den Hohepriester Joazar, den er beschuldigte, mit den Aufständischen sympathisiert zu haben, durch dessen Bruder Eleazar ersetzt haben. Später wurde wiederum Eleazar durch Josua, den Sohn des Seth, ersetzt.

Ob die unter Herodes I. begonnenen Bauarbeiten am →Jerusalemer Tempel unter Archelaos fortgesetzt wurden und inwieweit er selbst in diese Arbeiten involviert war, ist unklar. Die wenigen Hinweise, die Flavius Josephus auf Bautätigkeiten gibt, konzentrieren sich auf die unmittelbare Umgebung von →Jericho. Hier soll Archelaos die Palmenplantagen mittels einer neuen Wasserleitung erweitert, die Stadt Archelaïs gegründet sowie den während der Aufstände angeblich zerstörten Königspalast wiederhergestellt haben. Für die Zerstörung und den Wiederaufbau des Palastes gibt es keine archäologischen Belege (Bernett, 183).

Innenpolitisch fiel Archelaos durch seine Ehe mit der Witwe seines Bruders Alexander, Glaphyra, auf, die gegen jüdisches Recht verstieß. Denn eine Ehe zwischen Witwe und Schwager im Rahmen der sogenannten →Leviratsehe war nur möglich, wenn die vorangegangene Ehe kinderlos geblieben war. Glaphyra hatte aber mit Alexander zwei Söhne. Hinzu kam, dass Archelaos seine erste Frau namens Mariamne verstieß, um sie zu heiraten (B.J. II 11 | Ant. XVII 13, 4).

Archelaos nannte sich in den Legenden seiner Münzprägungen stets „Herodes, der Ethnarch“ und betonte auf diese Weise die dynastische Kontinuität zu seinem Vater. Entsprechend dem jüdischen →Bilderverbot wurden auf den Münzen keine Menschen oder Götter abgebildet.

Die außenpolitischen Beziehungen zu Rom scheinen sich während Archelaos’ Herrschaft deutlich verschlechtert zu haben. Höchst ungewöhnlich für einen römischen Klientelherrscher war, dass Archelaos seine Stadtneugründung nicht nach dem römischen Kaiser, sondern nach sich selbst benannte (Bernett, 182f.). Zudem berichtet der römische Geschichtsschreiber Sueton in seiner Augustusvita (Suetonius Tranquillus, II 93), dass Augustus seinen Adoptivsohn und Thronprätendenten Gaius explizit dafür gelobt habe, dass er im Jerusalemer Tempel keine Opfer darbrachte, als er an Judäa vorbeifuhr.

3.2. Das Ende der Herrschaft

Im Jahr 6 n. Chr. zitierte Augustus Archelaos nach Rom, zog ihn für seine Herrschaft zur Verantwortung, konfiszierte sein Vermögen und verbannte ihn in die gallische Provinzstadt Vienna, das heutige Vienne. Der genaue Grund hierfür ist nicht bekannt. Flavius Josephus berichtet, dass eine Delegation vornehmer Judäer und Samarier Archelaos bei Augustus wegen eines grausamen und tyrannischen Herrschaftsstils angeklagt habe (B.J. II 111f. | Ant. XVII 13, 2). Cassius Dio (Cassius Dio, XL 27, 6) hingegen schildert, dass Archelaos’ Brüder ihn wegen groben Fehlverhaltens anzeigten, wobei er die beiden Situationen vor Augustus 4 v. Chr. und 6 n. Chr. zu vermischen scheint.

Augustus wandelte Judäa, Samaria und Idumäa in der Folge in einen Teil der römischen Provinz Syria um, deren Statthalter →Quirinius war (vgl. Lk 2,1-4). Anstelle des Ethnarchen setzte er einen Prokurator ein, einen römischen Beamten mit Sitz in Caesarea Maritima.

4. Archelaos im Neuen Testament

In Mt 2,22 erfährt Josef, der nach Herodes’ Tod gerade mit Maria und Jesus aus dem ägyptischen Exil nach Judäa zurückgekehrt ist, dass Archelaos die Herrschaft in Judäa übernommen hat. Aufgrund dieser Information fürchtet er sich und folgt dem göttlichen Befehl, weiter nach Galiläa zu ziehen. Mt scheint hier eine Erinnerung an die für die Bevölkerung schwierige und harte Regierung des Archelaos zu verarbeiten.

Die lukanische Version des Gleichnisses von den anvertrauten Minen in Lk 19,12–27 ist mit einer Erzählung über einen Mann von edler Abstimmung verknüpft, der in ein fernes Land auszieht, um ein Königreich zu erlangen. Die Bürger, die seine Herrschaft nicht wünschen, proben während seiner Abwesenheit den Aufstand. Nachdem er das Königreich schließlich erlangt hat und zurückgekehrt ist, lässt er all jene, die seine Herrschaft abgelehnt haben, hinrichten. Diese kurze Erzählung könnte die Geschehnisse um Archelaos’ Aufstieg zum Thema haben. Wie der Mann im Gleichnis zieht er in ein fernes Land, um Herrscher zu werden, während Aufständische diese Herrschaft ablehnen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Archelaos ebenfalls etwaige Gegner nach seiner Rückkehr hinrichten ließ. Ein signifikanter Unterscheid besteht allerdings darin, dass der Mann im Gleichnis mit dem Königtum zurückkehrt, während Archelaos Ethnarch wurde.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Paulys Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft, Stuttgart 1893-1980
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • The Interpreter’s Dictionary of the Bible, Nashville / New York 1962 (Supp. 1976)
  • Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Der Neue Pauly, Stuttgart / Weimar 1996-2003
  • Dictionary of Judaism in the Biblical Period. 450 B.C.E. to 600 C.E., New York 1996
  • Eerdmans Dictionary of the Bible, Grand Rapids 2000
  • The New Interpreter’s Dictionary of the Bible, Nashville 2006-2009
  • Encyclopaedia Judaica, 2. Aufl., Detroit u.a. 2007
  • Herders Neues Bibellexikon, Freiburg u.a. 2008

2. Quellen

  • Cassius Dio, 1985–1987, Römische Geschichte. Übersetzt von Otto Veh, eingeleitet von Gerhard Wirth (Die Bibliothek der Alten Welt), 5 Bde., Zürich/München
  • Flavius Josephus, 121994, Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer. Übersetzt und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Dr. Heinrich Clemetz, 2 Bde., Wiesbaden
  • Flavius Josephus, 1959–1969, De bello Judaico – Der Jüdische Krieg. Zweisprachige Ausgabe der sieben Bücher. Herausgegeben und mit einer Einleitung sowie mit Anmerkungen versehen von Otto Michel und Otto Bauernfeind, 3 Bde., Darmstadt
  • Strabon, 2002–2011, Strabons Geographika. Mit Übersetzung und Kommentar herausgegeben von Stefan Radt, 10 Bde., Göttingen
  • Suetonius Tranquillus, C., 1988, Augustus. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Dietmar Schmitz (Reclams Universal-Bibliothek 6693), Stuttgart

3. Weitere Literatur

  • Bernett, M., 2007, Der Kaiserkult in Judäa unter den Herodiern und Römern. Untersuchungen zur politischen und religiösen Geschichte Judäas von 30 v. bis 66 n. Chr. (WUNT 203), Tübingen
  • Hengel, M., 32011, Die Zeloten. Untersuchungen zur jüdischen Freiheitsbewegung in der Zeit von herodes I. bis 70 n. Chr. (WUNT 283), Tübingen
  • Kollmann, B., 22011, Einführung in die Neutestamentliche Zeitgeschichte (Einführung Theologie), Darmstadt
  • Meshorer, Y., 1982, Ancient Jewish Coinage. Volume II: Herod the Great through Bar Cochba, New York
  • Schwentzel, C.-G., 2008, La propagande d’Hérode Archélaos, RB 115, 266–274
  • Schäfer, P., 22010, Geschichte der Juden in der Antike. Die Juden Palästinas von Alexander dem Großen bis zur arabischen Eroberung (UTB 3366), Tübingen
  • Vogel, M., 2002, Herodes. König der Juden, Freund der Römer (Biblische Gestalten 5), Leipzig

Abbildungsverzeichnis

Abbildungen

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