Grab Jesu
Andere Schreibweise: holy sepulchre
(erstellt: Dezember 2019)
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1. Das Grab Jesu: Literarisch und baugeschichtlich
Das Grab Jesu ist sowohl eine literarische Größe innerhalb der neutestamentlichen Jesusgeschichten wie auch zahlreichen anderen literarischen Texten (etwa Pilgerberichten oder sonstiger christlicher Literatur der Jahrhunderte) als auch seit den Zeiten Konstantins eine durch eine Kombination von Basilika und Memorialbaukörper eingefasste und damit für Pilger und Touristen hervorgehobene heilige Stätte in Jerusalem. Dieser Artikel setzt seinen Schwerpunkt auf das Grab Jesu als literarische Größe und verweist eher ausblickhaft auf die in Stein gebaute Rezeption der neutestamentlichen Erzählungen rund um das Grab Jesu.
2. Das Grab Jesu im Neuen Testament
Vom Grab Jesu ist im NT ausschließlich in den Passionsgeschichten der vier Evangelien und in der Apostelgeschichte, dort in einer Paulusrede im pisidischen Antiochia (Apg 13,29
2.1. Zur Semantik des Grabes Jesu
Das NT kennt drei Begriffe, mit denen ein Grab bzw. ein Grabmal bezeichnet werden kann: μνημεῖον / mnēmeíon, μνῆμα / mnḗma und τάφος / táphos (→ Grab [NT]
2.2. Ausstattung und Besitzverhältnisse: Welches Bild vom Grab Jesu entwerfen die Evangelien?
Im Blick auf die Ausstattung des Grabes und die Besitzverhältnisse unterscheiden sich die vier Passionsgeschichten in einer ganzen Reihe von Details (Apg 13,29
Das Markusevangelium erzählt von einem aus dem Felsen herausgeschlagenen, besser vielleicht: herausgebrochenen Grab. Das in diesem Zusammenhang verwendete Verb λατομέω / latoméō (Mk 15,46
Das Markusevangelium entwirft damit das Bild eines zum Zwecke des Begräbnisses angelegten Felsgrabes mit Eingangsbereich. Im Inneren dieser Grabanlage ergibt sich die Möglichkeit zur Rechten Jesu zu sitzen (Mk 16,5
Es ist erst das Matthäusevangelium, das die Besitzverhältnisse im Blick auf das Grab Jesu klärt. Josef von Arimathäa wird hier sogleich als reich (Mt 27,57
Dieser Gedanke der Erstbestattung ist auch dem Lukasevangelium wichtig. Hier ist es wiederum Josef, der zwar als Ratsherr vorgestellt wird (Lk 23,50
Das Johannesevangelium stellt neben Josef, den Krypto-Schüler Jesu (Joh 19,38
2.3. Zur erzählten Verortung des Grabes Jesu
Die neutestamentlichen Passionsgeschichten verorten implizit oder wie im Johannesevangelium explizit das Grab Jesu in der Nähe des Ortes seiner → Kreuzigung
Diese Verortungsdetails aus den Passionsgeschichten, denen man angesichts ihrer oft beiläufigen und selbstverständlich erscheinenden Erwähnung gewiss nicht jede historische Referenzialität wird absprechen können, die sich aber teilweise gewiss auch der Pragmatik der jeweiligen Schriften verdanken, decken sich im Großen und Ganzen mit der nahezu gemeinantiken Sitte, Gräber zwar nahe bei, aber doch außerhalb der Stadt und Prachtgräber dabei vorzugsweise an den großen Einfallsstraßen und damit gut sichtbar anzulegen.
2.4. Ein heiliges Grab? Die Grabesbesucherinnen, ihre Gesprächspartner, deren Botschaften und die Bewegungsrichtung der neutestamentlichen Erzählungen
Auch wenn sich die Osterbotschaften, die am Grab Jesu in den vier kanonischen Evangelien zu hören sind, im Detail unterscheiden, so beinhalten doch alle vier Fassungen Impulse, die letztlich vom Grab wegführen (vgl. auch Klumbies 2010).
Am deutlichsten wird das im Markusevangelium und im Matthäusevangelium: In beiden Evangelien sendet der Engel bzw. der junge Mann die Frauen sehr explizit weg vom Grab hin zu den Schülern (Mt 28,7
Dabei wird im Matthäusevangelium angesichts der semantischen Differenz zwischen τάφος / táphos (= das Äußere des Grabes) und μνημεῖον / mnēmeíon (= das Innere des Grabes) deutlich, dass die Frauen, die gekommen sind, um das Äußere des Grabes τάφος / táphos zu betrachten (Mt 28,1
Im Lukasevangelium fehlt dieser explizite Auftrag an die Frauen, das leere Grab zu betrachten. Das ist freilich kontextplausibel, denn die Frauen sind bereits zu Beginn der lk Ostergeschichte aus eigenem Antrieb heraus in das geöffnete Grab hineingegangen und haben nichts, eben auch nicht den Leichnam Jesu, vorgefunden (Lk 24,2-3
Das Johannesevangelium schließlich erzählt zwar von den Grabbesuchen der → Maria von Magdala
Innerhalb der Jesusgeschichten des NT haben wir es also jeweils mit einer Bewegungsrichtung zu tun, die vom Grab wegführt. Nicht die Rückkehr zum leeren Grab ist also erzählerisches Programm. Das leere Grab wird nicht zum Beweis der Auferstehung Jesu stilisiert und wird entsprechend auch nicht anderen Erzählfiguren als Beweis gezeigt. Dazu taugt es tatsächlich auch im Rahmen antiker Logiken nicht, ist ein leeres Grab doch deutungsoffen, kann sich die Leerstelle im Grab doch nicht nur der Auferweckung, sondern etwa auch dem Leichendiebstahl (vgl. Mt 27,62-66;
3. Das überbaute Grab – die Anastasisbasilika des Kaisers Konstantin
Das Programm „Weg vom Grab“ hat sich nicht durchgehalten. Zu verführerisch war wohl jener Impuls, den schon Matthäus und Markus mit der Aufforderung an die Frauen „seht den Ort“ gesetzt haben (zur Verknüpfung von Auferweckung und leerem Grab in Mk 16,1-8
Konstantins Anastasis (zum Bau vgl. Krüger; Küchler 2007, 409-490) ist ein sich von Ost nach West erstreckender, auf das leere Grab Jesu hin orientierter und insofern gewesteter Baukörper, der aus fünf Segmenten besteht (vgl. Abb. 7): Die Propyläen (E) betritt man vom Cardo maximus der spätrömischen Stadt Jerusalem / Aelia Capitolina. Ein erstes Atrium (D) vermittelt zu einer fünfschiffigen, einapsidialen Basilika, in deren südlichen Seitenschiffen der als Golgota verehrte Fels liegt. Er steht also nicht im Zentrum des Versammlungsraumes. Die Basilika ist mithin auf das Grab Jesu orientiert, auch wenn die zentrale Apsis der Basilika nicht ganz in der Flucht des heiligen Grabes liegt (zur Erklärung dieses Befundes mit dem Sonneneinfall am 8. April [Karfreitag] und am 10. April [Ostern] des Jahres 326 n. Chr. vgl. Reidinger). Die Basilika eröffnet einen Weg hin zum Grab, durch den Golgota in einer Art „Seitenkapelle“ zu liegen kommt, wie es einer theologia gloriae entspricht, die noch wenig Raum für eine theologia crucis lässt. An die Basilika schließt sich ein weiteres, mit drei Säulenreihen gestaltetes Atrium (B) an, das zur mit drei Apsiden ausgestatteten Rotunde der Anastasis (A), einem Memorialbau, vermittelt, in deren durch zwölf Säulen und sechs Pfeiler markierten Zentrum die Grabesädikula steht. Sie bildet das Herzstück der nicht ohne Grund ἀνάστασις / anástasis („Auferstehung“; vgl. etwa Mt 22,23
Ob die Anastasis im Übrigen am historisch richtigen Ort oder doch zumindest an einem historisch möglichen Ort gebaut worden ist, ist Gegenstand der Debatte und detaillierter Quellenanalysen (vgl. Küchler 1995, 90-92; Küchler 2007, 418-420), liegt sie doch bereits in den Tagen Konstantins – im Gegensatz zu allen neutestamentlichen Erzählungen über den Ort von Tod und Auferweckung Jesu – mitten in der Stadt Jerusalem. Entscheidend für die Plausibilität der Ortswahl Konstantins und seiner Architekten ist freilich die Situation des Geländes zur Zeit Jesu (unbebautes Felsgelände, Gartenareal) und vor allem der Verlauf der sogenannten Zweiten Mauer Jerusalems, die sich dem Bauprogramm der herodianischen Herrscher verdankt und zu Jesu Lebzeiten existierte. Der Verlauf dieser Mauer im Nordwesten der Stadt und damit im Umfeld der Anastasis ist unsicher und Gegenstand archäologischer und geophysikalischer Untersuchungen (vgl. das Projekt des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes https://www.deiahl.de/forschung-und-bildung/ausgrabungen/georadar-zweite-mauer-jerusalem/
Dessen ungeachtet hat sich mit dem Gartengrab („Gordons Garden Tomb“) am Ende der heutigen Conrad-Schick-Street, die nördlich des Damaskustores und damit außerhalb der heute sichtbaren Stadtmauer Suleimans des Prächtigen liegt und von der Nablus-Road abgeht, seit dem 19. Jh. eine alternative Verortungstradition für das Grab Jesu und Golgota entwickelt, die insbesondere von freikirchlichen und anglikanischen Christen verehrt wird. Heilige Orte – das zeigen viele Beispiele in Israel / Palästina – neigen im Rahmen der Konfessionalisierung zur Multiplikation. Das schadet nicht!
Literaturverzeichnis
- Bosenius, B., Der literarische Raum des Markusevangeliums (WMANT 140), Neukirchen-Vluyn 2014
- Halbwachs, M., Stätten der Verkündigung im Heiligen Land. Eine Studie zum kollektiven Gedächtnis (édition discours 21), Konstanz 2003
- Klumbies, P.-G., Weg vom Grab! Die Richtung der synoptischen Grabeserzählungen und das „heilige Grab“, in: Ders., Von der Hinrichtung zur Himmelfahrt. Der Schluss der Jesuserzählung nach Markus und Lukas (BThSt 114), Neukirchen-Vluyn 2010, 71-105
- Klumbies, P.-G., Die Verknüpfung von Auferweckungsbekenntnis und leerem Grab in Mk 16,1-8, in: Ders., Von der Hinrichtung zur Himmelfahrt. Der Schluss der Jesuserzählung nach Markus und Lukas (BThSt 114), Neukirchen-Vluyn 2010, 106-128
- Kötting, B., Art. Grab, in: RAC XII (1983) 366-397
- Krüger, J., Die Grabeskirche zu Jerusalem. Geschichte – Gestalt – Bedeutung, Regensburg 2000
- Küchler, M., Art. Heiliges Grab, in: NBL II (1995) 89-93
- Küchler, M., Jerusalem. Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt (OLB IV/2), Göttingen 2007
- Küchler, M., Jerusalem. Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt (OLB IV/2), Göttingen 22014
- Küchler, M. / Lau, M., Topographie und Baugeschichte Jerusalems in römischer und byzantinischer Zeit, in: Heyden, K. / Lissek, M. (Hgg.), Jerusalem in Roman-Byzantine Times. Images, Politics and Life of the City from Hadrian to Heraclius (COMES), Tübingen 2019 (im Druck)
- Lau, M., Geweißte Grabmäler. Motivkritische Anmerkungen zu Mt 23.27-28, in: NTS 58 (2012) 463-480
- Reidinger, E., Ostern 326: Gründung der Grabeskirche in Jerusalem, in: LASBF 62 (2012) 371-403
- Schmidt, K. M., Abkehr von der Rückkehr: Aufbau und Theologie der Apostelgeschichte im Kontext des lukanischen Diasporaverständnisses, in: NTS 53 (2007) 406-424
- Schmidt, K. M., Bekehrung zur Zerstreuung. Paulus und der äthiopische Eunuch im Kontext der lukanischen Diasporatheologie, in: Bib. 88 (2007) 191-213
- Triebel, L. / Zangenberg, J., Hinter Fels und unter Erde. Beobachtungen zur Archäologie und zum kulturellen Kontext jüdischer Gräber im hellenistisch-römischen Palästina, in: Alkier, S. / Zangenberg, J. (Hgg.), Zeichen aus Text und Stein. Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments (TANZ 42), Tübingen 2003, 447-487
- Volp, U. / Zangenberg, J., Begräbnis und Totenpflege, in: Zangenberg, J. (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur. Band 3: Weltauffassung – Kult – Ethos, Neukirchen-Vluyn 2011, 122-128
Abbildungsverzeichnis
- Jerusalem, Jasongrab im Rehaviaviertel. Blick in das Innere des Zentralraums, von dem westlich (= links auf der Fotographie) eine Grabkammer mit zehn Schiebegräbern in den Wänden und im Boden abgeht (vgl. Küchler 2007,1034-1036). Der schmale Durchgang wurde durch einen korkenartigen Verschlussstein gesichert, der im Zentralraum auf dem Kopf liegt und dessen Ende (= Oberseite) exakt in die Öffnung zur Grabkammer passt. Das Muster wiederholt sich mit Blick auf die sich nördlich an den Zentralraum anschließende Kammer, ein Repositorium, in dem sich archäologisch gesichert die Knochen von 25 Menschen befunden haben. Der Durchgang zu diesem Repositorium ist wohl sekundär kreisrund erweitert worden. Carolin Neuber, Freiburg i. Br. (mit freundlicher Genehmigung)
- Abila, nördliches Jordanien, Grabanlagen. Aus Basalt gearbeitete Türen, die jeweils Einlass in den Zentralraum einer Grabanlage bieten. Im jeweils rechten oberen Paneel ein stilisierter Türklopfer. Michael Hölscher, Mainz (mit freundlicher Genehmigung)
- Abila, nördliches Jordanien, Grabanlagen. Michael Hölscher, Mainz (mit freundlicher Genehmigung)
- Abila, nördliches Jordanien, Grabanlagen. Michael Hölscher, Mainz (mit freundlicher Genehmigung)
- Jerusalem, sogenannte Herodianergräber im Bloomfield Park westlich des Hinnomtals (unterhalb des King David Hotels). Blick in den vertieften Vorhof nach Süden mit Treppenanlage, die zur unterirdischen Grabanlage führt. Hinter dem den Eingangsbereich überspannenden Bogen der zurückgerollte Rollstein. Michael Hölscher, Mainz (mit freundlicher Genehmigung)
- Jerusalem, sogenannte Herodianergräber im Bloomfield Park westlich des Hinnomtals (unterhalb des King David Hotels): Detailaufnahme des Rollsteins. Michael Hölscher, Mainz (mit freundlicher Genehmigung)
- Schematisierter Plan der konstantinischen Anastasis in Jerusalem. Küchler 2014, 301 Abb. 155 (mit freundlicher Genehmigung)
Abbildungen
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