Lohn / Lohnarbeit (AT)
(erstellt: Juni 2020)
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Lohnarbeit, bei der der für Lohn arbeitende Mensch mittels eines Arbeitsvertrags seine Arbeitskraft gegen einen vereinbarten Lohn verkauft, ist in modernen kapitalistischen Gesellschaften die schlechthin dominante Form gesellschaftlicher Arbeit. Dies war im alten Israel und Juda (und in praktisch allen antiken Gesellschaften) nicht so. Neben der selbständigen bäuerlichen oder handwerklichen Arbeit stand als wichtigste Form abhängiger Arbeit diejenige Form von Arbeit, die mit der Wurzel עבד ‛āvad „arbeiten / dienen“ und den Ableitungen עֲבֹדָה ‛ǎvodāh „Arbeit / Dienst“ (→ Arbeit
1. Sozialgeschichte der Lohnarbeit
Zunächst ist festzuhalten, dass das Phänomen, dass man Menschen für eine Arbeit in Lohn nimmt, nicht auf eine bestimmte Epoche der Sozialgeschichte des alten Israel beschränkt ist. Es geht dabei um Fälle klar definierter Arbeitsverhältnisse. So kann der Besitzer größerer Herden jemand um Lohn dafür einstellen, diese zu hüten und zu scheren (Gen 30,28.32-33
Den bisher aufgezählten Arbeitsverhältnissen ist zweierlei gemeinsam. Zum einen sind sie an eine fest definierte und nur von dieser Person auszuführende Arbeit gebunden. Bei der Amme ist das ganz offenkundig. Aber auch die Schafhirten und Schafscherer sowie Facharbeiter – hier sind immer Männer und Frauen in Lohnarbeit belegt – müssen ihr Handwerk beherrschen, ebenso die Soldaten wie die um Lohn beschäftigten Priester und Seher. Eng damit hängt das zweite Charakteristikum zusammen. Solche Arbeitsverhältnisse werden immer für eine bestimmte Zeit abgeschlossen. Bei der Amme ist es die Zeit des Stillens, bei den Handwerkern die Zeit bis zur Beendigung der Arbeit, bei den Soldaten die Zeit eines Feldzuges. Beim Priester mag auch eine lebenslange Anstellung intendiert sein, beim Seher oder Intriganten liegt dagegen nur ein kurzfristig zu erfüllender Auftrag vor. Nach moderner Analogie könnte man von einem „Werkvertrag“ sprechen, der dann erfüllt ist, wenn das Werk erledigt ist.
Mit derselben Wurzel שׂכר śkr wird allerdings auch ein ganz anderes Arbeitsverhältnis bezeichnet, das sich mit dem eben beschriebenen nur darin trifft, dass Lohn bezahlt wird. Es handelt sich um die Arbeit des häufig so genannten Tagelöhners. Bei ihm oder ihr handelt es sich um Menschen, die täglich ihre Arbeitskraft anbieten und auch nur für einen Tag in Dienst genommen werden. Es ist davon auszugehen, dass sie keine besonders qualifizierten Arbeiten verrichten, sondern das erledigen, was man heute als ungelernte oder Hilfsarbeit bezeichnen würde.
Während es die zuerst genannte qualifizierte Form der Lohnarbeit zu allen Zeiten gab, ist die Tagelöhnerei als relevantes soziales Phänomen nicht vor dem 7. Jh. v. Chr. belegt. Texte, die auf das 8. Jh. zurückgehen, sprechen nicht von Tagelöhnern. Das Sabbatgebot des Dekalogs erwähnt den freien Bauern, dessen Kinder, Sklave und Sklavin sowie den Fremden – nicht aber den Tagelöhner (Ex 20,10
Zwar steht in Ex 22,14
Nicht anders ist das Bild bei den Propheten des 8. Jh.s. Weder → Amos
Anders wird das erst im deuteronomischen Gesetz, dessen Kern nicht vor dem Ende des 7. Jh.s v. Chr. entstanden ist. In ihm findet sich zum ersten Mal in der Rechtsgeschichte des alten Israel eine Gesetzesbestimmung, die ausschließlich dem Lohnarbeiter (und inklusiv auch der Lohnarbeiterin) gilt und auf die weiter unten noch näher einzugehen sein wird (Dtn 24,14-15
In der Zeit der persischen Dominanz ab dem Ende des 6. Jh.s ist Lohnarbeit längst allgemein geworden. Hiob vergleicht seine missliche Lage mit „einem Sklaven, der nach Schatten lechzt“, und „einem Tagelöhner, der auf seinen Lohn hofft“ (Hi 7,2
2. Die biblische Gesetzgebung
Auf das neue soziale Problem reagieren die biblischen Gesetzgeber mit unterschiedlichen Strategien.
2.1. Das Deuteronomium
Das → Deuteronomium
14 Du sollst einen bedürftigen und armen Lohnarbeiter nicht unterdrücken, ob er von deinen Geschwistern oder einer von deinen Fremden ist in deinem Land, in deiner Stadt. 15 Am selben Tag sollst du ihm seinen Lohn geben, und die Sonne soll nicht darüber untergehen. Denn er ist bedürftig, und sein Verlangen ist darauf gerichtet. Dann wird er nicht gegen dich zu Jhwh rufen, und es wird dir nicht als Sünde anhaften.
Die zentrale Forderung des Gesetzes nach Lohnauszahlung am Ende des Arbeitstages geht auf die spezifische Lage von Lohnarbeitern ein. Der Lohnarbeiter wird als bedürftig und arm beschrieben; er oder sie gehört also nicht zu den Fachkräften, die man gegen Lohn für bestimmte Aufgaben anstellt, sondern ist offenbar wenig qualifiziert. Die betreffende Person kann „von deinen Geschwistern“, also ein Angehöriger des eigenen Volkes, oder „dein Fremder“ sein. Es muss sich hier um einen Fremden handeln, der keine feste Klientelbeziehung eingegangen ist, sondern wie besitzlose Israelitinnen und Israeliten sein Leben als Lohnarbeiter bestreitet. Die Begründung für die Bestimmung, den Lohn am selben Tag bei Arbeitsende noch vor Sonnenuntergang auszuzahlen, hebt noch einmal hervor, dass der Lohnarbeiter bedürftig ist. Man kann sie mit den Worten paraphrasieren, dass der Lohn für ihn lebensnotwendig ist.
Auffällig ist die Formulierung: „Du sollst einen bedürftigen und armen Lohnarbeiter nicht unterdrücken“. Das Verb עשׁק ‛āšaq „unterdrücken“ ist ein beliebter Ausdruck der prophetischen Sozialkritik (vgl. Am 4,1
2.2. Die priesterliche Literatur
Dass auch die priesterlich geprägte Literatur die Notwendigkeit des Schutzes der Tagelöhner anerkennt, geht aus der Aufnahme von Dtn 24,14-15
Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass Lohnarbeiter nicht zum Haushalt eines Herrn gerechnet werden, wie das auch das Deuteronomium voraussetzt. So hält die Bestimmung über die Teilnahme verschiedener Personengruppen an der Pessach-Feier in Ex 12,43-50
Das ändert sich erst in dem Gesetz über das → Sabbatjahr
3. Theologisch-metaphorische Rede von Lohn
Es ist nicht ungewöhnlich, dass dem Alten Testament ein theologisches Denken in der Kategorie des Lohnes unterstellt wird. So heißt es in einem führenden theologischen Wörterbuch im Jahr 2002: „Im übertragenen Sinne bez[eichnet] L[ohn] im AT eine Abrechnung im Verhältnis zw[ischen] Gott und Mensch. Unglück, Mißernte, Hunger, Krankheit, Tod oder Zerstreuung des Volkes sind L[ohn] der Gottlosigkeit, des Ungehorsams und der bösen Taten […] Glück, Freude, äußeres Wohlergehen und Weisheit sind Zeichen von Gottes Gnade und Segen und belohnen ein frommes Leben [...]“; dieses Denken wird sodann als „verbreiteter Vergeltungsglaube“ bezeichnet (Birmelé, 503f). Das Problem kann hier nicht eingehender diskutiert werden. Es soll aber festgehalten werden, dass das spezifische Wortfeld aus dem Phänomen der Lohnarbeit nur auffällig selten metaphorisch für eine göttliche Belohnung verwendet wird.
Beide Vokabeln für „Lohn“, sowohl שָׂכָר śākhār als auch פְּעֻלָּה pə‛ullâh, werden metaphorisch überwiegend nicht im Sinn von Lohn für eine geleistete Arbeit gebraucht. Wenn Gott zu Abraham sagt: „Dein Lohn wird sehr groß sein“ (Gen 15,1
Im Grunde sind es nur zwei Stellen, an denen „Lohn“ metaphorisch im Sinn von göttlicher Belohnung gebraucht wird. Zum einen wünscht Boas → Rut
Natürlich ist mit diesen Beobachtungen nicht das letzte Wort über einen eventuellen „Vergeltungsglauben“ gesprochen. Die Diskussion über das Verständnis des so genannten → Tun-Ergehen-Zusammenhangs
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004.
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007.
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006.
- Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009.
2. Weitere Literatur
- Birmelé, André, 2002, Art. Lohn / Lohnsystem. I. Dogmatisch, in: RGG 4. Aufl., Bd. 5, 503-505.
- Kessler, Rainer, 2011, Lohnarbeit im alten Israel – kreative Antworten des Alten Testaments auf neue soziale Herausforderungen, in: Peter Dabrock / Siegfried Keil (Hgg.), Kreativität verantworten. Theologisch-sozialethische Zugänge und Handlungsfelder im Umgang mit dem Neuen, Neukirchen-Vluyn, 46-60.
- Kim, Sun-Jong, 2011, The Group Identity of the Human Beneficiaries in the Sabbatical Year (Lev 25:6), VT 61, 71-81.
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