Religionsunterricht, katholisch
Andere Schreibweise: Religious Education, roman-catholic
(erstellt: Januar 2015)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Religionsunterricht_katholisch.100104
1. Begründungsverpflichtung
Religiöse Bildung (→ Bildung, religiöse
Diese bereits vor einem Vierteljahrhundert formulierte Begründungsverpflichtung ist allerdings eine noch viel ältere, geradezu prinzipielle Herausforderung: Schon die Christen und Gemeinden der antiken Welt stehen vor der Frage, ob und wie sie ihre Vorstellungen vom Christwerden mit dem prägenden Bildungskonzept ihres kulturellen Umfelds (vor allem der griechischen paideia) zusammenbringen wollen und können. Eine weitere Grundfrage, nämlich nach dem Verhältnis von kirchlichen und staatlichen Interessen in der schulischen Bildung, bricht spätestens mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht auf (in vielen deutschen Ländern zum Ende des 18. Jahrhunderts, → Schule
Die Begründung des Religionsunterrichts und seine organisatorische Form, seine Ziele und seine Lernformen sind also bestimmt von kulturellen, sozialen, politischen und kirchlichen Bedingungen, die einem steten geschichtlichen Wandel unterliegen. Das macht es nach wie vor plausibel, vom Religionsunterricht als einer „abhängige[n] Variable[n]“ (Stoodt, 1998, 36) zu sprechen. Jede Zeit war und ist herausgefordert, den Religionsunterricht angesichts jeweils gegenwärtiger Veränderungen neu zu denken (Grümme/Lenhard/Pirner, 2012; Grümme/Pirner, 2023). Genauso stehen alle, die Religionsunterricht konkret praktisch gestalten, vor der immer neuen Aufgabe, diese Begründungsverpflichtung durch eine überzeugende Praxis erst eigentlich zu bewähren. Noch bevor also differenzierend geklärt wird, was das Spezifikum des katholischen Religionsunterrichts ausmacht, ist grundlegend zu fragen, wie Religionsunterricht überhaupt gedacht und begründet werden kann (Gärtner, 2015; Schweitzer, 2024).
2. Koordinatensystem: Religion und Bildung
Das entscheidende Koordinatensystem, in dem sich verschiedene Begründungs- und Praxismodelle für den Religionsunterricht je unterschiedlich verorten lassen, wird durch die beiden Bezugsgrößen → Religion
Religion als die erste bestimmende Variable lässt sich im Großen und Ganzen anhand von vier konzeptionellen Grundtypen bestimmen (Porzelt, 2013).
(1) Anthropologische Zugänge sehen Religion beziehungsweise Religiosität als ein Phänomen, das zum Wesen des Menschen, zu seiner unzerstörbaren Grundausstattung gehört. Jeder Mensch ist in diesem Sinne allgemein religiös veranlagt, auch unabhängig von einer bewussten Entscheidung für oder gegen eine konkrete Religion. Religionen und Konfessionen sind dann vor allem geschichtlich-kulturelle Realisierungen dieses Fundaments, das Verhältnis beider Größen kann mitunter kritisch gesehen werden.
(2) Phänomenologische Zugänge nehmen demgegenüber gerade diese sichtbare Seite von Religion in den Blick, die sich in verschiedenen typischen Dimensionen beschreiben lässt (Ritus, Dogma, Ethos, Praxis etc.).
(3) Die Frage nun, warum sich Menschen religiös verhalten und Religion unter ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen in Erscheinung tritt, deutet in Richtung eines weiteren, nämlich des funktionalen Modells. Hierbei steht vor allem die psychische oder soziale Funktion im Mittelpunkt, welche Religion für Einzelne, Gruppen oder ganze Gesellschaften erfüllt. Religion wird hierbei bezogen auf ein allgemeines Problem und jene besondere Leistung, die sie zur individuellen oder auch gesellschaftlichen Lösung dieses Problems beisteuert (z.B. Praktiken zum Umgang mit Lebenswenden).
(4) Im substanziellen Zugang zu Religion steht deren inhaltlicher Kern im Mittelpunkt, und zwar als dasjenige besondere Merkmal, durch das die anthropologische Basis, die problemlösende Funktion und die wahrnehmbare Ausdrucksgestalt nicht nur eine formale, sondern erst ihre eigentlich charakteristische Bestimmung und Deutung erfahren (z.B. christliches Proprium).
Auf der mit Bildung bezeichneten zweiten Achse des Koordinatensystems lassen sich anhand der klassischen Systematik von Wolfgang Klafki vier Grundmodelle angeben, die sich zwei paradigmatischen und bis heute wirksamen Polen des Bildungsdenkens zuordnen lassen. Materiale Bildungstheorien (a) nehmen ihren Standpunkt eher auf der Objektseite des Bildungsgeschehens (Inhalte), während formale Bildungstheorien (b) eher der Subjektseite (Lernende und deren Fähigkeiten) zuneigen. Der bildungstheoretische Objektivismus (a.1) definiert Bildung hierbei ausschließlich von ihren Gegenständen her, die schon allein aus bildungsexternen Gründen (z.B. Wissenschaftlichkeit, Nützlichkeit) Geltung beanspruchen. Die Bildungstheorie des Klassischen (a.2) führt demgegenüber ein pädagogisch gemeintes Wertkriterium ein, das Bildungsinhalte anhand ihrer allgemein-menschlichen oder kulturellen Bedeutung auszuwählen fordert. Formale Bildungstheorien setzen umgekehrte Akzente, wenn etwa im Modell funktionaler Bildung (b.1) nicht die Aneignung von Inhalten, sondern die Entwicklung und Formung der Anlagen und Kräfte der Lernenden durch Kontakt mit Bildungsinhalten im Mittelpunkt steht (z.B. natürliche Religiosität). Methodische Bildung (b.2) im Sinne Klafkis idealtypischer Klassifizierung schließlich betont die formal-methodische Qualifizierung anhand allgemeiner Methoden- oder auch Kompetenzkataloge, für deren Entwicklung die Inhalte nur dienenden Charakter haben und tendenziell sogar austauschbar sind.
Innerhalb dieses Koordinatensystems aus Religion und Bildung lassen sich verschiedene (historische und gegenwärtige) Orte bestimmen, die den Religionsunterricht an der Schule unterschiedlich legitimieren, indem sie auf bestimmte Modelle von Religion und Bildung sowie deren Zueinander rekurrieren. Mit Rudolf Englert (2008) lassen sich fünf klassische allgemeine Argumente für den Bildungswert des Religionsunterrichts („quinque viae“) unterscheiden; wie diese dabei auf typische Weise Religion und Bildung miteinander verknüpfen, veranschaulicht Abbildung 1.
Das anthropologische Argument („A“) hebt hervor, dass Religiosität (auch im Sinne einer religiösen Rationalität) zum Menschsein dazugehört und insofern eine Bildung, die den ganzen Menschen in den Blick nehmen möchte, nur unter Verlust eines nicht anders ersetzbaren Modus der Weltbegegnung auf Religion verzichten kann. Deutlich stehen hier also ein anthropologischer Religionsbegriff und ein funktionales Bildungsverständnis im Hintergrund. Das soteriologische Argument („S“) greift hingegen auf Religion im substanziellen und auf Bildung im tendenziell objektivistischen Sinne zurück: Aus christlicher Binnenperspektive kann die Christus-Botschaft nur als Heilsbotschaft für alle und den ganzen Menschen und somit als aus sich heraus bildungsrelevant gedacht werden. Ihre Position im Koordinatensystem aus Religion und Bildung lässt Reichweite und Grenze dieser Argumente zwischen theologischem Exklusivismus und anthropologischem Universalismus hervortreten.
Eine eher mittlere Position nimmt das kulturhermeneutische Argument („K“) ein, das bildungstheoretisch am ehesten dem klassischen Konzept, auf Religion bezogen einem phänomenologischen Zugang zuzuordnen ist. Der Religionsunterricht hat in dieser Logik Anteil an der allgemeinen Bildungsaufgabe, den Lernenden die Gesellschaft prägende Kultur zu erschließen und dieser Kultur umgekehrt in der Gesellschaft Zukunft zu ermöglichen, wozu konstitutiv auch die religiös-kulturellen Phänomene gehören, die erst mithilfe eines religiösen Grundalphabets entziffert werden können. Steht religiöse Kompetenz hier in unmittelbarer Nähe zu kulturellen Kompetenzen, hebt das vierte, funktionale Argument („F“) die gesellschaftlich gegenwartsbezogene Leistung von Religion und Religionsunterricht hervor. Ihre Wirkung ist es, die Religion für Bildung legitimiert, und zwar insbesondere in ihrer sozial stabilisierenden und ethisch orientierenden Funktion, wobei diese gesellschaftlich anerkannten Funktionen stark von historischen Konstellationen abhängig sind. Im Hintergrund lassen sich ein funktionaler Religionsbegriff und eine formal-methodische Bildungstheorie erkennen, die den Religionsunterricht für seine erhofften Wirkungen in Anspruch nehmen – bei im Zweifelsfall austauschbarer Inhaltlichkeit. Dass religiöse Traditionen sich gegen solche vereinnahmenden Tendenzen sperren und immer auch systemdestabilisierende Wirkungen entfalten, wird schließlich im fünften, dem ideologiekritischen Argument („I“) deutlich. Mit Präferenz für einen substanziellen Zugang zu Religion (etwa der prophetischen Tradition) und einem emanzipatorischen Bildungsbegriff (in mancherlei Hinsicht eine Variante des klassischen Bildungsgedankens) wird betont: Religion, wenngleich selbst einem ideologiekritischen Vorbehalt unterworfen, kann helfen, Bildungsprozesse vor ideologischen Heilshoffnungen zu bewahren und die ideologiekritische Mahnung an die Grenzen des Menschenmöglichen wach zu halten.
3. Religionsunterricht, katholisch, im Spiegel kirchlicher Dokumente
Geben die kulturellen und gesellschaftlichen Koordinaten aus Religion und Bildung die allgemeinen Rahmenbedingungen der abhängigen Variablen Religionsunterricht vor, so bestimmen die kirchlichen Positionen, wie Religionsunterricht sich konkret ausgestalten kann. Denn nicht zuletzt darf dieser in Deutschland nur von Lehrpersonen mit kirchlicher Beauftragung (katholisch: → missio canonica
3.1. Weltkirchliche Perspektive
Aus weltkirchlicher, katholischer Perspektive ist hier zunächst die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils (→ Zweites Vatikanisches Konzil
3.2. Beschluss der Würzburger Synode (1974)
In der Linie der vom Konzil gesteckten Aufgabe, das allgemeine Recht auf religiöse Bildung für die konkreten ortskirchlichen Bedingungen auszubuchstabieren, ist der Beschluss der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland zum Religionsunterricht (sogenannter → Würzburger Synodenbeschluss
In ihrer Begründung setzt die Synode auf eine pädagogisch-theologische Konvergenzargumentation und verortet den Religionsunterricht „in der Schnittlinie von pädagogischen und theologischen Begründungen, Auftrag der öffentlichen Schule und Auftrag der Kirche“ (Der Religionsunterricht in der Schule, Artikel 2.1). Die Begründungsverpflichtung des Religionsunterrichts besteht also einerseits darin, seinen nicht austauschbaren Anteil am Bildungsauftrag der öffentlichen Schule auszuweisen und diese Aufgaben und Ziele andererseits theologisch zu verantworten. Indem der Text anthropologische, kulturgeschichtliche und gesellschaftliche Argumente aufführt und miteinander verschränkt, entsteht eine integrierende Begründung, die innerhalb des Koordinatensystems aus Religion und Bildung ein möglichst breites Konsensfeld eröffnen möchte und insgesamt mit einer „Konvergenz der Motive“ (ebd.) aller am Religionsunterricht Beteiligten rechnet.
Das didaktische Grundprinzip dieses gleichermaßen pädagogisch wie theologisch motivierten Religionsunterrichts wird entsprechend in einer Kurzformel zusammengefasst: „Der Glaube soll im Kontext des Lebens vollziehbar, und das Leben soll im Licht des Glaubens verstehbar werden“ (a.a.O., Artikel 2.4.2). Damit sind sowohl rein materiale, vermittlungsorientierte wie auch rein formale, funktional orientierte Formen zugunsten einer wechselseitig kritischen Doppelperspektivik (→ Korrelation
Ziele und Erfolgskriterien des Religionsunterrichts werden auf religiöse Orientierungsfähigkeit und Mündigkeit ausgerichtet. „Religionsunterricht soll zu verantwortlichem Denken und Verhalten im Hinblick auf Religion und Glaube befähigen“ (a.a.O., Artikel 2.5.1). Als entscheidend hierzu werden die Auseinandersetzung mit der Sinn- und Gottesfrage gesehen, und zwar im Vertrautwerden mit der jüdisch-christlichen Glaubenstradition als Denk- und Lebensform sowie im Kontext verschiedener Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen. Religionsunterricht gilt auch dann schon als erfolgreich, wenn sich Schülerinnen und Schüler begründet gegen die christliche Welt- und Lebensdeutung entscheiden, dabei „Religion und Glaube zumindest nicht für überflüssig oder gar unsinnig halten“, sie vielmehr „als mögliche Bereicherung des Menschen, als mögliche Kraft für die Entfaltung seiner Persönlichkeit, als möglichen Antrieb für die Realisierung von Freiheit begreifen“ und wenn sie „Respekt vor den Überzeugungen anderer gewonnen haben“ (a.a.O., Artikel 2.6.5). Voraussetzung dieser bescheidenen Erwartungshaltung ist, dass die Synode ausdrücklich zwischen gemeindlicher → Katechese
Die Gründe, warum sich die Synode für diese Form des Religionsunterrichts entscheidet, liegen theologisch gesehen in einer Richtung weisenden ekklesiologischen Option, die sich der Theologie des → Zweiten Vatikanischen Konzils
3.3. Neuere kirchliche Dokumente
Neuere kirchliche Dokumente (→ Denkschriften, katholisch
3.3.1. Bis 2016
Das Bischofspapier „Die bildende Kraft des Religionsunterrichts“ (Sekretariat der DBK, 1996) legt den Schwerpunkt auf die Frage der → Konfessionalität des Religionsunterrichts
Knapp zehn Jahre später verfolgen die deutschen Bischöfe angesichts einer weiter veränderten religiösen und schulpolitischen Situation in „Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen“ (Sekretariat der DBK, 2005) ein eher realistisch-konkretisierendes Anliegen, indem drei zentrale Aufgaben des Religionsunterrichts besonders betont werden: „Vermittlung von strukturiertem und lebensbedeutsamem Grundwissen über den Glauben der Kirche, [...] Vertrautmachen mit Formen gelebten Glaubens und [...] Förderung religiöser Dialog- und Urteilsfähigkeit“ (a.a.O., 18).
Die beiden ersten Aufgaben reflektieren die Frage nach den Bedingungen einer durch den Religionsunterricht zu ermöglichenden religiösen Orientierungsfähigkeit, vertreten nun aber eine tendenziell kompensatorische Position. Angesichts der Tatsache, dass der Religionsunterricht „für eine wachsende Zahl von Kindern und Jugendlichen der wichtigste und oft auch einzige Ort der Begegnung mit dem Glauben und der Hoffnung der Kirche ist“ (a.a.O., 6), kommt ihm viel stärker als bisher die Aufgabe zu, erst die Wissens- und Erfahrungsbasis herzustellen, die durch religiöse Sozialisation und religiöses Lernen außerhalb der Schule (in Familie, Gemeinde, Gesellschaft) kaum mehr gelegt wird, für eine religiöse Orientierungsfähigkeit aber unerlässlich ist. Angesichts solcher grundlegender Herausforderungen wird das Konfessionalitätsprinzip in der Sache zwar nicht aufgegeben, pragmatisch jedoch realistischer gesehen und Formen → konfessioneller Kooperation
Dem gleichen konkretisierenden Anliegen verpflichtet und zugleich den schulpolitischen Entwicklungen geschuldet ist die Formulierung von allgemeinen → Kompetenzen
3.3.2. Seit 2016
Einen wichtigen Schritt und eine überfällige Korrektur der defensiven Position aus „Die bildende Kraft des Religionsunterrichts“ (Sekretariat der DBK, 1996) vollziehen die deutschen Bischöfe mit ihren Empfehlungen zur → konfessionellen Kooperation
4. Aktuelle Herausforderungen
Angesichts gegenwärtiger Entwicklungen spitzen sich Anfragen an Begründung, Organisationsform und didaktisches Profil zu (Englert, 2018; Kenngott/Englert/Knauth, 2015; Kropač/Langenhorst, 2012; Lindner u.a., 2017; Roebben, 2023; Rupp/Hermann, 2013; Schambeck/Simojoki/Stogiannidis, 2019; Schröder, 2014). Dies wird vor allem anhand von vier Veränderungsfaktoren deutlich, die zu einer aktualisierten Verortung im Koordinatensystem aus Religion und Bildung herausfordern.
Auf politisch-rechtlicher Ebene wird der schulische Religionsunterricht bislang noch wenig in Frage gestellt, doch ist ein religionspädagogisch relevanter „doppelter Reformdiskurs“ (Wittreck, 2013, 6) zu beobachten, der einerseits staatskirchenrechtliche Verflechtungen zwischen Kirchen und Staat, vor allem in ihrer finanziellen Verpflichtungsdimension (kirchliche Kitas, Schulen, Krankenhäuser), zunehmend kritisch in den Blick nimmt und andererseits um die notwendige gesellschaftliche Anerkennung des Islam kreist. Wenngleich beide Diskurse nicht unmittelbar auf den Religionsunterricht bezogen sind, so sind doch mittelbar Auswirkungen abzusehen, insofern der Religionsunterricht nämlich als Teil eines sogenannten kirchlichen Privilegienbündels in den Blick kommt oder angesichts der konkreten Fragen um den islamischen Religionsunterricht die grundsätzliche Frage eines Religionsunterrichts in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften einer Neubewertung unterzogen wird (auch im Sinne einer europäischen Angleichung). Dies umso mehr, als sich auch auf gesellschaftlicher Ebene die seit Jahrzehnten andauernden Veränderungen verstärken und neue multinationale und globale Herausforderungen hinzutreten. Die demographische Entwicklung führt weiterhin zu einem markant sinkenden Anteil christlich getaufter Schülerinnen und Schüler, bei gleichzeitig steigender regionaler Ausdifferenzierung und religiös-weltanschaulicher Pluralisierung. So wird die Zahl der Schulen weiter zunehmen, an denen das Konfessionalitätsprinzip im strengen Sinn gar nicht und auch im geweiteten, kooperativen Sinn allenfalls unter hohem organisatorischen Aufwand umgesetzt werden kann. Dem in der Situation der 1990er Jahre entwickelten und mehr als 25 Jahre später zur kirchlichen Anerkennung gelangten Konzept der erweiterten Kooperation zwischen katholischem und evangelischem Religionsunterricht wird von daher wohl nur eine kurze Übergangsphase beschieden sein. Insgesamt wächst der konzeptionelle Begründungsdruck, inwieweit ein nach Konfession und Religion trennender Religionsunterricht dem leitenden Bildungsanliegen einer (religiösen) Pluralitätsbefähigung gerecht wird (Riegel, 2018; Theis, 2023). Diese Problematik wird auf Ebene der Schulen dadurch verstärkt, dass aktuelle bildungspolitische Entwicklungen von den Schulen eine Fülle von Integrationsleistungen einfordern (→ Inklusion
Auf der individuellen Ebene schließlich wird weiter von einer sehr heterogenen Schüler- und auch Lehrerschaft auszugehen sein, bei denen eine außerschulische → religiöse Sozialisation
Die geschilderten Veränderungsfaktoren sind keineswegs neu, es zeigen sich aber gegenwärtig stärker denn je die Grenzen eines Denkens in zugespitzten Antagonismen: Festhalten am Konfessionalitätsprinzip vs. konfessionelle beziehungsweise interreligiöse Kooperation aus gemeinsamer pädagogischer und theologischer Verantwortung, Unterricht in der eigenen Konfession beziehungsweise Religion vs. vergleichende Religionskunde beziehungsweise Religionsunterricht für alle (Bauer, 2019), Identität vor Verständigung vs. Identität durch Verständigung, organisatorische und inhaltliche Standardisierung vs. religionsunterrichtliche Dezentralisierung im Sinne regionaler und lokaler Differenzierung. Im gegenwärtigen Koordinatensystem von Religion und Bildung wird es die Aufgabe sein, nicht nur einen, sondern viele plausible Orte des Religionsunterrichts zu denken und sich von einer grundsätzlichen Auflösbarkeit der genannten Antagonismen zu verabschieden. Religionsunterricht wäre nicht mehr nur einlinig auf der Schnittlinie zwischen Religion und Bildung, sondern auf einer breiten Schnittfläche beider Koordinaten zu denken, auf der mehrere Verortungen gleichzeitig möglich sind. Wenn Religionsunterricht Teil der öffentlichen Diskurse in der säkular-pluralen Schulwirklichkeit bleiben soll, muss er der Herausforderung Pluralität inhaltlich und organisatorisch wie auch in seiner Begründung gerecht werden (Boschki, 2017, 94-98). Insofern wird zukünftig noch weniger nach dem allgemeinen Religionsunterricht zu fragen sein als nach seiner jeweils konkret-kontextuellen Form und deren religiösem Kompetenzprofil, das sie zu fördern am besten in der Lage ist (Englert u.a., 2014; Woppowa u.a., 2017). Aufgabe übergreifender Normierungen wird es sein, noch konsequenter „kontextuell-regionale Lösungen“ (Mendl, 2013, 149) und innovative Zukunftsprojekte zu fördern, die im jeweiligen Koordinatensystem jene Form von Religionsunterricht ermöglichen, die dem Ziel religiöser Orientierungs- und Dialogfähigkeit am dienlichsten erscheint. Sein theologisches Profil gewinnt ein solcher Religionsunterricht im Plural aus seiner konsequenten diakonischen Option, die sich jenseits defensiv-sichernden Eigeninteresses und im Sinne einer „heilsamen ,Dezentralisierung'“ (Franziskus, Evangelii gaudium, Artikel 16) von der Vorstellung konsequent leiten lässt, zuallererst „Hilfe zur verantwortlichen Gestaltung des eigenen wie des gesellschaftlichen Lebens“ (Der Religionsunterricht in der Schule, Artikel 2.5.1) leisten zu wollen, und zwar für möglichst viele Schülerinnen und Schüler
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